Es sind diese Momente, die Generationen prägen. Wir erinnern uns an die sowjetische Invasion in Afghanistan, an den Fall der Berliner Mauer und an die Terroranschläge vom 11. September 2001. Situationen, an denen wir innehalten, und die verdeutlichen, dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten, wie finews.ch-Redaktor Andreas Britt schreibt.

Die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Stunden und Tage ist der offenkundige Wille des russischen Herrschers Wladimir Putin, die Regeln des Zusammenlebens in einer zivilisierten Welt nicht mehr zu akzeptieren.

Nicht nur lässt er seine Streitmacht ein Nachbarland überfallen und in Schutt und Asche legen. Putin lügt und betrügt, er pfeift auf seine Gesprächspartner und darauf, was er ihnen irgendwann zugesagt haben mag.

In seiner Fernsehansprache am Morgen der Invasion drohte er der Welt mit einem Atomkrieg, falls sich ihm jemand in den Weg stellen sollte. Seit den 1980er-Jahren schien der furchtbare Schrecken dieser Waffengattung einigermassen gebannt, und wir alle haben uns daran gewöhnt, dass die Nuklearwaffen zwar existieren, aber nie zum Einsatz kommen werden.

Wenn derjenige, der soeben ein Nachbarland überfallen hat, allen anderen mit einem Atomkrieg droht, wird eine alte Angst wieder wach.

«Russland hat dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht der Nationen den Krieg erklärt»

Neben seiner Kriegsrhetorik spinnt der russische Diktator auch weiter an seinem Plan, die Grösse der ehemaligen Sowjetunion wieder aufleben zu lassen und hat schon mal klargemacht, dass für die Grossmacht Russland ein Abbruch von diplomatischen Beziehungen durch andere Länder nicht hinzunehmen wäre. Er versucht, Europa damit zu zeigen, dass alle andern gefälligst seine Macht zu akzeptieren haben, da er ja – offenkundig – sonst ganz andere Massnahmen zu ergreifen gewillt ist.

Nichts ist abzuschwächen oder schönzureden. Russland hat dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht der Nationen den Krieg erklärt. Dies wird uns noch lange beschäftigen.

Die Reaktion auf diesen bitteren und brutalen Angriff fällt der (westlichen) Welt gerade mal nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wir alle leben in einer ganz anderen Realität. Wir beschäftigen uns mit einer Pandemie, Energiesicherheit und Klimafragen.

Krieg ist etwas für die Geschichtsbücher und eventuell das Fernsehen, aber jedenfalls sehr weit weg. Wir erinnern uns an die letzte Abstimmung zur Beschaffung des Kampfjets in der Schweiz.

«Das tönt sehr nach 1939 und so gar nicht nach 2022»

Die Nato hat eine ganze Weile gewarnt, dass die Russen genau das planen, was am Donnerstagmorgen Realität geworden ist. Wir konnten es nicht glauben, weil uns die Logik des russischen Vorgehens verschlossen blieb. Warum sollte jemand Wohlstand und Sicherheit freiwillig aufgeben? Warum ein Nachbarland ohne jegliche Provokation überfallen?

Das tönt sehr nach 1939 und so gar nicht nach 2022. Und dieses Unverständnis, diese Suche nach einem Grund hat sich der russische Machthaber zu Nutzen gemacht. Nun feilen die Chefs der Nato-Staaten, der EU und ihrer Alliierten an den in Aussicht gestellten Sanktionen. Ursula von der Leyen, die Kommissionspräsidentin, hat schon klargestellt, dass die Sanktionen zum Ziel haben, Russland wirtschaftlich schwer zu schädigen. Der Zugang zum Kapitalmarkt, zu Spitzentechnologie, aber auch zu Märkten soll Russland genommen werden und dem Staat so ein möglichst hoher Schaden als Preis für die Aggression zugefügt werden.

Der Krieg in der Ukraine und die wirtschaftlichen Retorsionsmassnahmen führen letztlich zu einem Zustand, der dem ähnelt, welcher vor dem Fall der Berliner Mauer geherrscht hat. Sie befeuern eine Entflechtung der Staaten Europas in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hinsicht.

Wenn die Sanktionen greifen – und daran gibt es kaum Zweifel – werden die wirtschaftlichen Interessen Russlands in Europa (und wohl auch in weiteren Teilen der Welt) massiv beschädigt und zurückgedrängt. Dies alles war Putin klar und hat sein Handeln offenkundig nicht beeinflusst.

«Die engsten Verbündeten der Schweiz werden massive Sanktionen gegen Russland ergreifen»

Die Sanktionen werden aber auch den Westen schädigen und stellen insbesondere die Versorgung Europas mit Energie vor Probleme. Es ist absehbar, dass die Versorgung mit Öl und Gas neu organisiert, respektive durch andere Energieträger ersetzt werden muss. Was heisst dies alles für die Schweiz?

Nachdem der Bundesrat vor der Invasion noch sehr zurückhaltend formuliert hatte, kommt unser Land nicht umhin, sich in diesen Tagen klar zu positionieren. Grundsätzlich ist allen bewusst, dass wir von der demokratischen Grundhaltung und unseren Wertvorstellungen her zu Europa gehören und diese Werte auch hochhalten.

Die engsten Verbündeten der Schweiz werden massive Sanktionen gegen Russland ergreifen und erwarten, dass die Schweiz diese entweder mitträgt oder aber, dass sie zumindest nicht für Umgehungsgeschäfte missbraucht werden kann. Letzteres Prinzip ist schon von früheren Sanktionen gegen russische Geschäftsinteressen nach der Krim-Krise bekannt.

Es wäre angesichts der rohen Aggression aus Moskau unverständlich, wenn die Schweiz wissentlich Sanktionen unterlaufen und damit aus dem Krieg einen Profit schlagen würden. Dies hat aber grosse Konsequenzen für die Schweiz, ihren Finanzplatz und auch deren Industrie. Zwar sind die Guthaben russischer Investoren auf Schweizer Banken relativ stabil geblieben, aber diese stellen nur einen Teil des russischen Besitzstandes in der Schweiz dar.

Der vielleicht schwierigste Aspekt der nun anstehenden Aufgaben für Bund und Wirtschaft ist die Beantwortung der Frage, ob massive und unterschiedslose Sanktionen erstens sinnvoll und zweitens mit unseren Vorstellungen vereinbar sind.

«Ob die Schweiz da mitmacht, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen»

Wenn die Ankündigungen der EU und Nato so umgesetzt werden wie angekündigt, werden die Massnahmen nicht mehr zielgerichtet nur Putin und seine nähere Umgebung treffen, sondern ganz Russland. Ob die Schweiz da mitmacht, ist zum jetzigen Zeitpunkt offen. An diesem Punkt unterscheidet sich wohl der aktive, wirtschaftliche Kampf gegen Russland von dem spezifischen, der die Hintermänner (ja, Männer) der Aggression zu treffen sucht.

Und da stellt sich auch die Frage, wie wir alle die Zeit nach dieser eben begonnenen Krise gestalten wollen. Und da hat die Kommissionspräsidentin von der Leyen ja auch betont, dass es nicht die Menschen in Russland sind, die für die Aggression verantwortlich sind.

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