Die Exzesse in der Finanzbranche sind der Auswuchs mangelnder Unternehmenskultur. Darum kommt dem Personalwesen heute eine umso grössere Bedeutung zu, schreibt Chris Rowe in seinem Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Die Nachricht, wonach die Risikomanagerin Pamela Walkden zur obersten Personalchefin bei der britischen Bank Standard Chartered ernannt wurde und Einsitz in die Konzernleitung nimmt, überbot zwar nicht die Schlagzeilen über Donald Trump oder den Brexit. Doch der Wechsel ist bemerkenswert, weil er für einen neuen Trend in der Finanzbranche steht. Worum geht es?

Wie eine Analyse bei knapp 50 global tätigen Banken zeigt, haben 43 Prozent dieser Institute einen Personalverantwortlichen ohne entsprechende Erfahrung. Es handelt sich dabei um so genannte Outsiders, die in 80 Prozent der Fälle auch noch in der Geschäftsleitung sitzen. Per se muss das nichts Schlechtes sein. Im Gegenteil, diese Entwicklung hat zweifelsohne einen grossen Einfluss auf das jeweilige Unternehmen und zwar intern wie extern. 

Die Wissenschaft definiert Wirtschaftswachstum als Produkt von Kapital und Arbeit. Man könnte durchaus argumentieren, dass die Finanzbranche historisch gesehen von Letzterem immer etwas weniger benötigt hat als andere Industrien. Denn der gezielte Einsatz von talentiertem Personal besass umso mehr Bedeutung, was wiederum zur Folge hatte, dass den Personalverantwortlichen (Human Resources, HR) eine strategisch enorm wichtige Rolle zukam.

«Flockige Traktanden wurden zumeist dem Chief Operating Officer delegiert»

Doch im Alltag sind HR-Abteilungen nicht selten dem Vorwurf ausgesetzt, nur reaktiv zu wirken, zu wenig strategisch zu handeln und im schlimmsten Fall sogar das «Business» fundamental nicht zu verstehen. Unter diesen Prämissen erstaunt es nicht, dass die HR-Leute in vielen Unternehmen mit einem Akzeptanzproblem kämpfen, bisweilen führt das zu einem Teufelskreis, so dass am Ende die ganze Glaubwürdigeit des Personalwesens leidet.

Noch vor der Krise, als die (Finanz-)Welt sozusagen noch in Ordnung war, die Gewinne sprudelten und sich die Grossbanken an Eigenkapitalrendite-Zielen von mehr als 20 Prozent orientierten, war alles, was sich so «nebenher» abspielte, von zweitrangiger Bedeutung, sprich Themen wie Unternehmenskultur, Umgang mit Mitarbeitern, Verhaltensregeln. So «flockige» Traktanden wurdem zumeist dem Chief Operating Officer delegiert, der sich wiederum mit der Personalabteilung verständigte. Aber besonders wichtig waren diese Themen und Fragen ehrlich gesagt nicht. 

Erst mit dem Ausbruch der Finanzkrise rückte das Personalwesen plötzlich ins Schlaglicht und zwar nie zuvor: Feindliche Übernahmen, Fusionen, Insolvenzen und andere komplexe Veränderungen machten im Nu einen extrem anspruchsvollen Umgang mit dem Personal erforderlich. Mit einem Schlag gewannen die Personalabteilungen eine gänzlich neue Bedeutung – und Reputation. 

«Mangelndes Kulturverständnis ist in vielen Fällen die Ursache für grosse Skandale»

Seither ist der Umgang mit Fragen zur Unternehmenskultur, zum Verhalten der Mitarbeiter, zu den Kosten und zur Entlöhung sozusagen zum täglichen Brot für praktisch jede Konzernleitung und für jeden Verwaltungsrat geworden. Denn ein mangelndes Kulturverständnis oder schlechtes Verhalten haben die Krise nicht nur verstärkt, sondern sind in vielen Fällen immer noch die Ursache dafür, dass es zu grossen Skandalen kommt, sei es bei der Manipulation von Zinssätzen, Devisen oder dem Goldpreis.

Vor diesem Hintergrund kommt der Ausformulierung von Unternehmenswerten und deren Umsetzung heutzutage eine eminent wichtige Bedeutung zu. Mit anderen Worten: Firmen, die so etwas bewerkstelligen wollen, brauchen eine starke und glaubwürdige HR-Abteilung. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der ganzen Salär-Thematik, die mittlerweile allein schon aus regulatorischer Sicht eine geradezu teuflisch-komplexe Dimension angenommen  hat. Dabei fällt den HR-Verantwortlichen die gewiss nicht einfache Aufgabe zu, den grossen Kompromiss zu finden, zwischen marktgerechten Löhne und den zunehmenden behördlichen Auflagen gerecht zu werden.

«HR-Leute müssen beweisen, wie mehr mit weniger erreicht werden kann»

Es ist bemerkenswert, dass in den eingangs erwähnten Banken, in denen das Personalwesen immer noch von erfahrenen HR-Spezialisten geführt wird, diese auch ein profundes Wissen in Sachen Entlöhnung besitzen. Das ist zweifelsohne immer mehr ein Vorteil, zumal sich die Banken heute mehr denn je überlegen müssen, in welchem Verhältnis die (Personal-)Kosten zu den eher rückläufigen Erträgen stehen. Oder anders gesagt: HR-Verantwortliche müssen den Weg weisen, wie sozusagen mehr mit weniger erreicht werden kann, respektive wie mit dem eingesetzten «Humankapital» das Maximum erreicht werden kann. 

Ging es früher im «Kampf um Talente» vor allem darum, die besten Händler zu engagieren, sind die klügsten Köpfe heute im Bereich von Legal & Compliance gefragt – in einem Bereich, der recht eigentlich nichts zur Ertragssituation eines Unternehmens beiträgt. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass der oberste HR-Verantwortliche heutzutage Einsitz in die Geschäftsleitung nimmt. 

«Externe agieren oftmals unbefangener»

Der Trend, HR-Leute ohne entsprechende Erfahrung in die Unternehmensführung zu nominieren, führt in der Finanzbranche zu mindestens zwei Vorteilen. Erstens wertet dies das Personalwesen ganz generell auf und ermöglicht mehr Innovationen, da Externe oftmals unbefangener agieren. Gleichzeitig sind diese Top-Leute aber umso mehr auf erfahrene HR-Leute unter ihnen angewiesen – was neue Chancen schafft.

Zweitens hatte die Aufwertung des HR-Verantwortlichen auch intern eine Signalfunktion. Wie diverse Personalchefs regelmässig berichten, werden sie mit Bewergungen regelrecht überschwemmt, sobald das HR-Wesen innerhalb einer Firma eine Aufwertung erfährt. Mit anderen Worten: Die äussere Wahrnehmung eines Unternehmens, das die Personalabteiung aufwertet, nimmt sukzessive zu. Und dadurch sollte sich auch die Expertise in den entsprechenden Abteilungen vergrössern.

Insofern ist es eine erfreuliche Entwicklung, dass das Personalwesen seit der Finanzkrise eine neue Bedeutung erlangt hat. Dank der Durchmischung mit Experten aus anderen Bereichen wie Risikomanagement, Kommunikation oder Rechtsdienst ist ein Job im HR regelrecht «cool» geworden. 


Chris Rowe arbeitet im Range eines Director bei dem weltweit tätigen Kaderstellenvermittlungs-Unternehmen Leathwaite. Von Zürich aus verantwortet er den HR-Bereich ist für die EMEA-Märkte (ohne Grossbritannien) zuständig. Er bringt mehr als 15 Jahre Erfahrung in dieser Sparte mit und war dabei vor allem in der Rekrutierung von Führungspersonen in der Finanzbranche tätig.

Bevor er 2005 zu Leathwaite stiess, war er als Senior Consultant für eine andere Kadervermittlungsfirma tätig. Seine Karriere startete er 1998 und arbeitete zunächst in der Technologiebranche. Rowe hat ein Executive MBA der Cass Business School in London und ein Masters' Certificate der Bristol Business School. 


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer (zweimal), Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Claude Baumann, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger und Beat Kappeler.

 

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