Wenn es um die Präsenz von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und Politik gehe, dann könne man Japan füglich als Entwicklungsland bezeichnen, schreibt Urs Schoettli in seinem Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Wenn es um die Präsenz von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik geht, figuriert Japan in internationalen Rankings weit hinten. Wenn man die Zahl von Frauen, die in Indien hohe Managementfunktionen wahrnehmen, betrachtet, kann man Japan füglich als Entwicklungsland bezeichnen.

Im Gegensatz zu Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch und Indonesien wartet Japan noch immer auf eine weibliche Regierungs- oder Staatschefin. Als es vor einigen Jahren so aussah, als ob ein Mädchen, die Tochter des derzeitigen Kronprinzen, dereinst auf den Thron gelangen würde, waren konservative Japaner rasch zur Stelle mit dem Hiweis, das seine weibliche Thronfolge nicht mit den bestehenden Regularien vereinbar sei.

«Sie wird das Gesicht der Verwaltung sein, wenn Tokio 2020 die Sommerolympiade austrägt»

Immerhin, in jüngster Zeit haben wir nun einen wichtigen Wandel zum Bessern verzeichnen können. Im Juli waren die Tokioter aufgerufen, einen neuen Bürgermeister zu wählen. Yuriko Koike, ein ehemaliges Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), trat als Unabhängige an, da die LDP einem farblosen Mann den Vorzug gegeben hatte.

Die 63-jährige Koike, die von 1993 bis 2016 dem japanischen Parlament angehörte und 2007 kurzzeitig Verteidigungsministerin war, gewann die Wahlen überzeugend. Sie wird nun das Gesicht der Tokioter Verwaltung sein, wenn Japans Hauptstadt 2020 die Sommerolympiade austragen wird.

Nachdem er im vergangenen Juli einen grossen Sieg bei den Oberhauswahlen hatte verzeichnen können, bildete Ministerpräsident Shinzo Abe das Kabinett um. Er ernannte dabei die 57-jährige Tomomi Ida zur neuen Verteidigungsministerin.

«Sie hat in der Vergangenheit wiederholt den umstrittenen Tokioter Yasukuni Schrein besucht»

Sie gehört zum konservativen Flügel der LDP und unterstützt Abes Politik einer Stärkung der militärischen Verteidigung Japans. Sie hat in der Vergangenheit wiederholt den umstrittenen Tokioter Yasukuni Schrein besucht, ein Akt, der von China und Südkorea als provokant empfunden wird, da in dem Schrein auch der Seelen von japanischen Kriegsverbrechern gedacht wird.

Eine, wenn nicht die wichtigste Herausforderung, der sich Japan im 21. Jahrhundert stellen muss, ist die Demographie. Die Bevölkerung des Inselnation altert rasch und schrumpft. Auf der positiven Seite ist die fortlaufende Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung der Japaner zu verzeichnen.

Auf der negative Seite fällt ins Gewicht, dass seit vielen Jahren die Geburtenrate bei weitem nicht mehr ausreicht, die Bevölkerung stabil zu halten. Von 2010 bis 2015 ist die japanische Bevölkerung um eine Million auf nun noch 127 Millionen Menschen geschrumpft, der erste Rückgang seit den 1920er-Jahren.

«Wir sehen einen wachsenden Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Berufszweigen»

Von nun an werden wir einen Prozess der demographischen Schrumpfung haben, der in den kommenden Jahren sich noch beschleunigen wird, da die Zahl der Frauen, die eine Familie gründen können, abnimmt. Prognosen sehen Japans Population bis zum Ende des Jahrhunderts auf noch 83 Millionen Menschen schrumpfen.

Dies ist eine dramatische Entwicklung, die natürlich den geopolitischen Status und, noch stärker, die Wirtschaft Japans in Mitleidenschaft ziehen wird. Bereits heute sind wir Zeuge schrumpfender japanischer Binnenmärkte, was die meisten japanischen Firmen dazu zwingt, ihre Überseepräsenz zu verstärken.

Wir sehen auch einen wachsenden Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Berufszweigen. Japan will traditionell keine substanzielle Zuwanderung. Anders als Europa, wo mehrere Staaten auch schrumpfende Geburtenraten haben, diese aber durch Immigration kompensieren, hält Japan seine Grenzen dicht. Nur rund 1,6 Prozent der japanischen Bevölkerung sind Ausländer.

«Dass eine Mutter ausser Haus arbeitet, wird als Zeichen der Vernachlässigung gesehen»

Japan ist sich der Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich bringt, bewusst. Bereits sind zahlreiche Massnahmen in die Wege geleitet worden, von Technologie und Wissenschaft bis hin zur Sozialpolitik. Ministerpräsident Abe macht seinen Landsleuten klar, dass es auf absehbare Zeit keine andere Lösung gibt, die schrumpfende Zahl von Japanern im arbeitsfähigen Alter zu kompensieren, als eine aktivere Beteiligung der japanischen Frauen in der Wirtschaft.

Zunächst geht es dabei nicht um einen rasanten Ausbau der weiblichen Präsenz in Geschäftsleitungen, sondern schlicht darum, es den Frauen ermöglichen, auch nach Heirat und Familiengründung einen Beruf auszuüben und, dies vor allem, es ihnen zu ermöglichen, in ihren Beruf und ihre Karriere zurückzukehren, wenn die Kinder gross geworden sind.

Die Zahl der Hürden, die es Japan schwer machen, einen Standard zu erreichen, der in modernen Industriegesellschaften üblich ist, ist gross. Zunächst gibt es traditionelle kulturelle Hindernisse. Dass eine Mutter ausser Haus arbeitet, wird als Zeichen der Vernachlässigung oder der Armut gesehen.

«Shinzo Abe will mit Steuervergünstigungen und anderen Anreizen Remedur schaffen»

Das Kind in eine Kindertagesstätte zu geben und nicht zu Hause zu sein, wenn das Kind aus der Schule kommt, wird als Vernachlässigung elterlicher Pflichten gesehen. Eine noch schwierigere Hürde ist die weitverbeitete Zurückhaltung von Arbeitgebern, Frauen zu beschäftigen, die eine Pause in ihrer Karriere einlegen möchten und die von Anfang klar machen, dass sie eine Familie gründen wollen.

Darüber hinaus sind die Infrastruktur wie auch die finanziellen Anreize für berufstätige Frauen mit Familie höchst mangelhaft. In dieser Hinsicht hinkt Japan, das ansonsten eine sehr hoch entwickelte Gesellschaft mit exemplarischer Infrastruktur ist, schwer hinterher. Abe hat zugesichert, mit Steuervergünstigungen und anderen Anreizen Remedur zu schaffen. Wir müssen sehen, ob und wann er diese Versprechen umsetzen wird.


Urs Schoettli studierte Philosophie an der Universität Basel. Von 1983 bis 1989 war er Südasien-Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) in Delhi. Von 1990 bis 1995 wirkte er als Iberien-Repräsentant der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Madrid. Es folgten weitere Stationen für die «NZZ» in Hongkong, Tokio und Peking. Seit 2010 ist er als unabhängiger Asien-Berater tätig. Ausserdem veröffentlichte er zahlreiche Bücher zum Thema. Er ist Mitglied des Boards Internationaler Konsulenten des Internationalen Instituts für Liberale Politik Wien (IIP) und des Stiftungsrats der Max-Schmidheiny-Stiftung; zudem ist er Mitglied im internationalen Beirat der stars Foundation in Stein am Rhein, die diesen Beitrag vermittelt hat.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Maurice Pedergnana, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Peter Hody, Steve Hanke und Andreas Britt.

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