Es wird eine Zeit geben, in der man reumütig zurückblicken und sich fragen wird, weshalb man im Juli 2016 keine Bankaktien gekauft hat, schreibt der Finanzprofessor Maurice Pedergnana auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Wer die Aktienkurse im Allgemeinen für hoch bewertet hält, soll sich mal den Versicherungs- und Bankaktien zuwenden. Die grossen Player werden unisono und trotz teils üppiger Eigenmittelausstattung und erfolgreichen Stresstest-Prüfungen deutlich unter ihrem Buchwert gehandelt. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir uns keineswegs in einer euphorisierten Aktienhausse bewegen.

Dennoch ist eine Differenzierung notwendig. Nicht alles, was mit einem Discountpreis angeschrieben ist, ist wirklich günstig. Hier ein paar Beispiele aus dem aktuellen Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) von Grossbanken, die allesamt im Geschäftsjahr 2016 einen Gewinn erzielen dürften und über wesentliche Stärken verfügen:

  • Barclays: ca. 0.4
  • BNP Paribas: ca. 0.6
  • Intesa SanPaolo: ca. 0.6
  • Credit Suisse: ca. 0.4
  • UBS: ca. 0.9.

Handelt es sich hier einfach nur um Schnäppchen für Value-Investoren, oder steckt da etwas mehr dahinter? Die tiefen KBV-Werte sind entweder auf überhöhte Buchwerte oder auf zu tiefe Marktbewertungen zurückzuführen.

Wenn man von der Hypothese ausgeht, dass die Bilanzpositionen zu Fortführungswerten, einer buchhalterischen Grösse, bewertet sind, stellt sich die Frage, weshalb man im Moment Discounts von bis zu 60 Prozent feststellt.

«Was weiss der Markt, was der Buchhalter noch nicht weiss?»

Beim Kurswert, dem Zähler des KBV, handelt es sich um Einschätzungen des Marktes bezüglich der zukünftigen Entwicklung von Cash-Flows und Gewinnen, die hier Eingang finden. Es sollte sich also bei beiden Grössen um prospektive, zukunftsorientierte Werte handeln (im Bewusstsein, dass ausserbilanzielle Positionen im KBV nicht berücksichtig werden).

Was weiss der Markt, was der Buchhalter noch nicht weiss? Ziehen wir Erfahrungen aus Liquidationserlösen aus dem klassischen Kreditgeschäft (Recovery-Rates zwischen 40 Prozent bis 60 Prozent) und vergleichen das mit den momentanen Discounts auf Bankaktien, könnte man die Diskrepanz zwischen Markt- und Buchwert bei zahlreichen Grossbanken interpretieren als «der Markt hat bereits auf Liquidationswerte umgestellt».

Warum? Weil der Markt diesen Instituten offensichtlich nicht zutraut, in der Zukunft das eingesetzte Kapital fair und adäquat zu verzinsen. Mit anderen Worten: Die Kapitalkosten sind höher als die von diesen Banken erwirtschafteten Kapitalrenditen: Die erwarteten, vom Markt als erzielbar erachteten Gewinne sind unzureichend.

Mehr noch: Den Banken mit einem tiefen Kurs-Buchwert-Verhältnis wird nicht mal zugetraut, das Geschäftsmodell effizient zu liquidieren. Wenn der Liquidationserlös beispielsweise einer Credit Suisse ungefähr den bilanziellen Eigenkapitalwert von 45 Milliarden Franken ergäbe, wären das 205 Prozent mehr als die gegenwärtige Marktkapitalisierung von 22 Milliarden Franken.

«Einfach auf den Punkt gebracht: Den Banken wird im Kern nichts mehr zugetraut»

Normalerweise rechnet man in der Recovery-Kreditabteilung im Konkursfall mit Liquidationserlösen von mindestens 40 Prozent. Dies entspricht der gegenwärtigen Marktbewertung der Credit Suisse.

Einfach auf den Punkt gebracht: Den Banken wird im Kern nichts mehr zugetraut. Findet da ein Branchen-Bashing statt, oder hat es einen handfesten Hintergrund? Wir glauben, dass es derzeit sehr wichtig ist, zwischen lebensfähigen Geschäftsmodellen und solchen, die vor allem auf dem Prinzip Hoffnung aufbauen, zu unterscheiden.

Damit kann man letztlich auch Opportunitäten eruieren. Wo soll man aus Wertüberlegungen investieren, und wo verkommt eine allfällige Investition immer stärker zu einer Spekulation?

Das wollen wir an einem Beispiel darzulegen versuchen. Betrachten wir die Tochtergesellschaft der Credit Suisse, die Schweizer Universalbank (SUB), die in der Lage ist, einen normalisierten Jahresgewinn von rund 1,6 Milliarden Franken (vor Steuern) zu erzielen.

«Kostenlos ist nicht risikolos»

Selbst in den ärgsten Krisenjahren 2008/09 war dieser Teil des Geschäftsmodells erfolgreich. Bei einem typischen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 bis 12 für schweizerische Universalbanken entspricht der Wert des schweizerischen Ablegers mehr als zwei Drittel der gegenwärtigen Marktkapitalisierung des gesamten Konzerns.

Die Assets und das Personal, die Infrastruktur wie auch die intakten Kundenbeziehungen in London, New York, Tokio und Hongkong und Singapur erhält man als Aktionär der Credit Suisse für einen Schnäppchenpreis dazu.

Aber kostenlos ist nicht risikolos. Wenn man dem (Top)-Management endlich zutrauen könnte, dass das eigene Personal mehr Nutzen stiftet als Schaden anrichtet und mehr Erträge als teure, neue Rechtsfälle generiert, würde die Credit-Suisse-Aktie zu einem «Value Stock» werden. So argumentiert der «Value Investor».

«So drohen weitere überraschende Milliardenverluste»

Berücksichtigt man allerdings die rund 120 Milliarden Franken «Schrott»-Positionen auf der Bilanz, wird deren Liquidation wohl nochmals bis zu 6 Milliarden Franken Eigenkapital beanspruchen.

Der straffe Zeitplan, den sich der Verwaltungsrat auf Antrag von CEO Tidjane Thiam dazu gegeben hat, erhöht das Risiko, dass dies noch mehr kosten wird. Denn weil auch das damit verbundene Personal abgebaut wird, geht das Know-how über diese Positionen verloren – manchmal bevor sie abgebaut sind. So drohen weitere überraschende Milliardenverluste, die – Hand aufs Herz – fairerweise nur vom Steuermann dieses Vorgehens verantwortet werden können – und nicht von jenen, die vom Schiffswrack runterfallen.

Jede andere Darstellung wäre falsch. Nur so lässt sich auch erklären, dass im Investmentbanking gerüchteweise Spezialboni in Höhe von 228 Millionen Dollar in Aussicht gestellt werden, wenn die entsprechenden Verantwortungsträger bis zum Ende der Restrukturierungsphase bleiben.

«Die Governance gleicht einem Feuerlauf über glühende Kohlen»

Jetzt könnte man noch argumentieren, die Bank werde bald wieder 1 bis 2 Franken Gewinn pro Aktie erzielen können, denn bei konstanten Erträgen werde sich die Sparschraube auswirken. Doch scheint manchem Insider, dass die Zitrone nicht ein drittes Mal ausgepresst werden kann. Mitunter fliesst dann nur noch bitterer Geschmack aus den Kernen raus.

Jedenfalls zeigt das Dividenden-Diskontierungs-Modell für die Credit Suisse ein düsteres Bild: Bei Kapitalkosten von – je nach Annahmen – 12 bis 14 Prozent muss ein erhebliches, nachhaltiges Wachstum in einem schrumpfenden, kompetitiven, von Negativ- und Nullzinsen geprägten Bankenmarkt erzielt werden, um nur schon einen Aktienkurs von 15 oder 20 Franken rechtfertigen zu können.

Zwei Optionen werden immer wieder in die Waagschale geworfen: Die Universalbank wird teilweise an die Börse gebracht. Abgesehen von der Gewinnverwässerung für den Aktionär auf Gruppenebene zeigen diverse Beispiele, dass dies auf die Dauer nicht gut gehen kann, weil die Governance einem Feuerlauf über glühende Kohlen gleicht – bei jedem kleinsten Schritt muss sich stets mit den Minderheitsaktionären und deren Rechte auseinandersetzen, will man sich nicht die Füsse verbrennen (Beispiele: Roche/Genentech, St.Gobain/Sika, Georg Fischer/Agie Charmilles.)

«Die Credit Suisse ist dank dem Zerfall des Aktienkurses eine Übernahmekandidatin geworden»

Die zweite Option ist eine weitere Kapitalerhöhung, zum Beispiel um 4 Milliarden Franken, was wohl zu einem Aktienkurs um die 8 Franken geschehen müsste. Das wäre ein ziemlich bitteres Eingeständnis für die verfehlte Strategie unter dem neuen CEO und müsste wohl mit neuem Personal (Verwaltungsratspräsident und Konzernchef) vonstatten gehen.

Wir betrachten diesen Schritt als unwahrscheinlich, aber schliessen ihn nicht aus: Letztlich ist die derzeitige Strategie stark abhängig von der Grosswetterlage im Finanzsektor: Nimmt die Volatilität auf den Märkten erheblich zu, wird dies die Erholungspläne des Konzerns empfindlich treffen. Das erklärt auch die Durchhalteparolen Thiams, der sagte: «The Group will stay intact. A takover ist not a subject.»

Ein dritter Weg ist damit angesprochen, und der wird wohl stärker als die laufenden Monats- und Quartalsergebnisse den Kurs wieder höher treiben. Die Credit Suisse ist dank dem Zerfall des Aktienkurses eine Übernahmekandidatin geworden.

Der Aktionär kann sich ein Übernahmeangebot erhoffen, das rund 30 Prozent bis 40 Prozent über dem Durchschnittskurs der letzten Monate liegen würde. Beispielsweise für eine solide, eigenkapitalstarke US-Bank, die sich in Europa und in Asien auf einen Schlag deutlich verstärken will, wäre das ein interessanter strategischer Schritt.

«Die Credit Suisse liesse sich wunderbar in die traditionsreiche, grundsolide Wells Fargo einfügen»

Dabei denken wir nicht an die ohnehin schon starke J.P. Morgan, aber vielleicht an Morgan Stanley oder auch an Wells Fargo. Letztere verfügt über eine Marktkapitalisierung, die rund 11x höher ist (240 Milliarden Dollar).

Ihr mutmasslicher Jahresgewinn 2016 entspricht der derzeitigen Marktkapitalisierung der Credit Suisse, und ihre Peer Group hat sie in den letzten Jahren mit ihren Ergebnissen deutlich übertroffen. Vom strategischen Fit würde sich die Credit Suisse wunderbar in die traditionsreiche, grundsolide Wells Fargo einfügen lassen.

Schwieriger wäre ein Zusammengehen mit Morgan Stanley, weil es doch einige Überlappungen mehr gäbe. Aber auch diese Bank strotzt vor Kraft und könnte von der grossartigen Wealth-Management-Plattform der Credit Suisse profitieren, die heute von einem erheblichen Teil der sehr vermögenden Privatkunden (Ultra-High-Net-Worth-Individuals, UHNWI) überaus geschätzt wird.

Zur Stärke von Morgan Stanley: Unmittelbar nach dem bravourösen Bestehen des scharfen Stresstests durch die Federal Reserve (Fed) hat sie Dividendenerhöhungen um 33 Prozent angekündigt. Aber sie könnte die überschüssigen Eigenmittel auch in andere Richtungen lenken...

Dagegen muss man derlei Übernahmegedanken bei der UBS nicht anstellen. Die Bank bleibt im Wealth Management nach wie vor hervorragend aufgestellt. Die jüngsten Kursrückgänge von 32 Prozent in den letzten sechs Monaten lassen sich rational nicht mit dem verlangsamten Wachstum Chinas, dem Rohstoff-Kreditexposure und dem Brexit-Entscheid begründen.

Zu wenig bedeutend sind alle diese Faktoren für das gesamte Geschäftsmodell der UBS, zu unbedeutend sind im globalen Business die Transaktionen, die im britischen Pfund abgewickelt werden. Die UBS hat in den kommenden Jahren einen Geschäftszyklus vor sich, in dem die Rechtskosten deutlich geringer werden dürften.

Sie geht auch das heikle Thema Kostenmanagement im anspruchsvollen Investmentbanking zügig an. Sie stellt sich den stürmischen Zeiten mit hohen Marktvolatilitäten, tieferem Handelsvolumen und härterem Wettbewerb bei verschärften regulatorischen Rahmenbedingungen.

Aber wie kaum eine zweite Grossbank wird sie in der Lage sein, die Komplexität ihres Wirkens noch rechtzeitig umzudrehen. Hier schlummert ein hoher Wert, wenn das Schiff in ruhigeres Wasser gleiten wird.

Mitarbeit: Roger Rissi


Maurice Pedergnana ist seit einigen Jahren Chefökonom der Zugerberg Finanz, einer grösseren Vermögensverwaltungsgesellschaft in Zug mit 25 Mitarbeitern, die sich ausschliesslich auf den Schweizer Markt konzentriert. Der gebürtige Winterthurer war von 1999 bis 2011 im Bankrat der Zürcher Kantonalbank. Er hat mehrere Bücher verfasst und doziert heute noch nebenamtlich an der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

Roger Rissi ist hauptamtlich Dozent an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Seine Dissertation über Bankenregulierung und Geschäftsauswirkungen auf Bankenebene führte dazu, dass er als Experte für das EU-Parlament an der europäischen Umsetzung von Eigenmittel-Vorschriften mitwirkte. Während neun Jahren hat er bei der UBS gearbeitet.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer (zweimal), Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann und Richard Egger.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.25%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.7%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.96%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.33%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.76%
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